Geschichte des Kirchenchores St. Sebastian Lobberich 1841-1941

V. Kapitel:
Die Zeit der großen Veränderungen nach 1965

Buch S. 91

Die Chorgemeinschaft von 1965 bis 1980

Der vor 1965 noch etwa 50 Mitglieder zählende Verein wuchs bis 1967 dem Jahr der Orgelweihe, auf 70 Personen an. Im Jahresbericht vom November 1969 dagegen drückte der Schriftführer seine Sorge aus: „… es ist heute schon vorauszusehen, daß wir von einem sterbenden Chor sprechen müssen. Es wird von Ausführungen Ausführungen des Präses über die Liturgieform und einer „lebhaften Debatte über das Für und Wider einer modernen Meßgestaltung“ berichtet. Wie groß die Unklarheit über die Aufgabe der Kirchenchöre nach dem Konzil war, geht aus einem Schriftverkehr des Jahres 1971 hervor, der zwischen dem Vereinsvorsitzenden, Hemz Touppen, und dem Diözesanpräses des Allgemeinen Cäcilienvereins, Prof. Freistedt, über die nachkonziliaren Aufgaben geführt wurde. Letzterer forderte nicht Anpassung an die Instruktion über die Musik in der heiligen Liturgie", sondern ihre Förderung.  Klares Ziel sei: „Beteiligung aller ... ,die gemeinsam die Liturgie gestalten. Jeder nach seinen Kräften, und Fähigkeiten und seinen Funktionen in der Gestaltung des gemeinsamen Gottesdienstes." Die Priester und Kirchenmusiker müßten einen „Zeitplan auf weite Sicht" über die einzelnen Meßformen erarbeiten. Die Gemeinde und der Kirchenchor müßten über den Sinn und Umfang der liturgischen Erneuerung informiert werden. Freistedt führte ein Beispiel an, wie man die Gemeinde nach und nach am Propriumsgesang des Hochamtes beteiligen könne. Zum Schluß warnte er vor Reformfanatikern, die nur Trümmer hinterließen, und vor trotzigen Kirchenchören, die, indem sie nur das Alte wollten, Zwietracht säten: (70).
Der Vorsitzende des seit 1968 bestehenden Pfarrgemeinderates ermutigte den Kirchenchor, den Gregorianischen Choral zu pflegen. Er wies in einem Brief an den Vorsitzenden des Kirchenchores auf einen Beschluß des Pfarrgememderates aus dem Jahre 1969 hin, in dem für das sonntägliche Hochamt ein Wechsel zwischen lateinischem und deutschem Ordinarium empfohlen wurde. (71)
Im Chor wurde bis zum Krisenjahr 1972 immer wieder die Frage aufgeworfen, ob man sich stärker neueren Kompositionen öffnen und den Anteil der Motetten bei den Meßfeiern erhöhen müsse. Der Vorsitzende empfahl einen Kompromiß. Wenn dieser in der Vergangenheit noch nicht immer gelungen sei, „sollte beachtet werden, daß es niemals nur eine Entscheidung nach einer Seite geben wird. Manche versuchen heute einen zeitgemäßen Gottesdienst und experimentieren mit Jazz- und Beatmessen bzw. Elementen solcher Musizierformen anstelle der alten Kirchenlieder. Im Oremus 1971 (Gemeindegebetbuch) werden neue rhythmische Gesänge angeboten. Das alles sind Versuche, dem heutigen Menschen den Mitvollzug der Messe zu erleichtern." Der Vorsitzende setzte sich für das feierliche Hochamt ein. (72)
Zu allem Unglück erkrankte zu der Zeit, als der Chor an seiner bisher so selbstverständlich wahrgenommenen Aufgabe zweifelte, der Chorleiter mehrmals. 1975 mußte sogar eine Übungspause von 10 Wochen hingenommen werden. Der Organist von Breyell, H. Trapp, half 1974/75 bei Proben und Aufführungen, so oft er freikam. Nach 1973 stieg die Mitgliederzahl wieder an, so daß am 14. Januar 1977 insgesamt 51 Personen, darunter 34 Damen, gezählt wurden. Obschon Anstrengungen gemacht. wurden, noch mehr Gläubige für den liturgischen Gesang zu aktivieren, gelang dies mehr. Im 140ten Jahr seines Bestehens muß der Chorleiter vor allem um jede einzelne Männerstimme bangen.
Wenn auch die Satzung der Kirchenchöre im Bistum Aachen vom 1. Januar 1977 nicht ausdrücklich den Ausschluß der Frauen vom Chorgesang, wie er 1913 in der allgemeinen Form und 1927 für bestimmte liturgische Dienste ausgesprochen wurde, widerruft, so ist die Möglichkeit der Mitgliedschaft im § 4 festgestellt, wo es heißt : „Jedes Mitglied bemüht sich, neue Sängerinnen und Sänger zu gewinnen."
Die Satzung gibt den Kirchenchören einen Aufgabenkatalog, der unter anderem den liturgischen Gesang bezeichnet: § 2,2 „Die kirchenmusikalischen Aufgaben umfassen die Pflege und Förderung des Gregorianischen Chorals, der mehrstimmigen Kirchenmusik aller Stilepochen, insbesondere auch der Neuzeit, der deutschen Liturgiegesänge und des Kirchenliedes." Die Satzung und weitere Richtlinien sowie eine deutlich spürbare Rückbesinnung auf den reichen Schatz der Vergangenheit, auch im säkularen Bereich künstlerischen Gestaltens in der Bundesrepublik, stoppten eine gelegentlich die Ufer überschwemmende experimentierfreudige Phase, die freilich in Lobberich nur m Ausläufern wahrgenommen wurde.
Ab 1977 übt der Vorstand sein Amt jeweils für 4 Jahre aus. Seine Wahl bedarf der Bestätigung durch den Präses. Hier wird eine Begrenzung demokratischer Regeln sichtbar (73). Daß in Zeiten des Umbruchs die Aufgaben des Vereinsvorstandes schwer sind, leuchtet ein; trotzdem stellten sich immer wieder Damen und Herren zur Verfügung. Vorsitzende waren von 1962 bis 1967 Alois Schlütter, von 1967 bis 1972 Hemz Touppen, und seither steht Frau Anneliese Zanders als „Geschäftsführende Vorsitzende" dem Chor vor. Eine Frau an der Spitze eines Kirchengesangvereins ist auch im Jahre 1980 am Niederrhein eine Ausnahme. Sieht man einmal von der persönlichen Eignung der Amtsträgerin und der Tatsache ab, daß der Kirchenchor in den 70er Jahren deutlich mehr Damen als Herren zählte, so zeugt das Faktum auch für die sich wandelnde Stellung der Frau im kirchlichen Raum.
Veränderte Verhältnisse in der Pfarre fordern auch den Kirchenchor heraus: Bei der 1. Pfarrkirmes am 23./24. September 1972 konnte man an einem Stand des Chores Blumen gewinnen. Der Reinertrag von DM 1000 wurde für den geplanten Bau eines Pfarr- und Jugendzentrums eingenommen. Nicht nur der erzielte Gewinn und die Gebefreudigkeit der Lobbericher Gärtner, sondern vor allem auch die Anliegen, für die man sich einsetzte, ermunterten auch in den folgenden Jahren weiterzumachen; so wurden 1979 unter anderem ein Krankenhaus in Indien, 1980 ein Projekt in Portugal gefördert. Nachdem Herr Seifen 1976 seinen Dienst angetreten hatte, zeigte sich, daß die Verwirklichung seiner hochgesteckten Ziele auch Finanzierungsfragen aufwarf, die mit herkömmlichen Mitteln nicht zu lösen waren.
In dieser Zeit erhielt ein Orchestermusiker für seine Dienste in der Weihnachtsmette und im Hochamt des 1. Feiertages insgesamt 100 DM. Vor diesem Hintergrund warb die Vereinsvorsitzende im Jahre 1978 92 neue Ehrenmitglieder, die sich für eine bestimmte jährliche Beitragszahlung zum Zwecke der Finanzierung der weihnachtlichen Orchestermesse verpflichteten. Gegenüber solcher Hilfsbereitschaft zeigten sich die Sängerinnen und Sänger dankbar. Sie luden alle Förderer zu einem Abend in die „Arche" des neuen Jugendheimes ein und erfreuten durch ein gutes Dutzend mehrstimmiger Lieder. Damit auch dem Auge etwas geboten wurde, zeigte ein Chormitglied Photos aus der Geschichte des Vereins und plauderte dazu. (74)
Obgleich die musikalischen Anforderungen anstiegen und von Fall zu Fall Sonderproben eingelegt werden mußten, fanden sich ab 1975 immer wieder junge Mitglieder, um bei den Cäcilienfeiern oder an einem verrückten Abend in der närrischen Zeit etwas auf die Bretter zu bringen.
Junge Mitglieder des Chores waren ab 1977 auch bereit, unter W. Seifens Leitung Sonderaufgaben beim Chorgesang in und außerhalb der Pfarre zu übernehmen. Als sie unter der Bezeichnung „Kammerbesetzung des Kirchenchores St. Sebastian" auftraten, kam es zu einer Aussprache im Chor, an der auch der Präses teilnahm. Man kam überein, es könne der Kirchenchor nur als Einheit auftreten, es sei auf jeden Fall auszuschließen, daß innerhalb eines Chores 2 Gruppen mit unterschiedlichem Leistungsniveau bestünden. Danach bildete sich als unabhängige Singgemeinschaft die „Capella cantica", zu der auch nicht ortsansässige Mitglieder gehören. Bis zum Tage wahren die sangesfreudigen Jugendlichen auch dem Kirchenchor die Treue.
Im Berichtsraum von 1965 bis 1980 galt der Grundsatz, daß auf Wochen harter Arbeit Erholung und Entspannung folgen sollten, so wurden regelmäßig Jahresausflüge durchgeführt, die zu folgenden Zielen führten:

  • 1966 Weisweiler-Zweifall
  • 1967: Almelo (Niederlande)
  • 1968: Siebengebirge
  • 1969: Frielingsdorf und Lingeser Talsperre
  • 1971: Lippstadt
  • 1972: Wanderung in die nähere Umgebung
  • 1974: Caudebec-en-Caux (Frankreich)
  • 1975: Soest, Möhnetalsperre, St. Meinulf
  • 1976: Aachen, Kalltal
  • 1977: Marienheide, Zons am Rhein
  • 1978: Stolberg (Silbernes Priesterjubiläum K.]. v. Kück), Solchbachtal
  • 1979: Hochelten, Emmerich, Kleve
  • 1980: Grillabend beim Mitglied Frau Pleunes in Breyell-Natt

Zur Förderung des Gemeinschaftslebens und zur Entspannung trugen bei: das Cäcilienfest, eine karnevalistische Kostümveranstaltung und der österliche Eiertipp am 1. Freitag nach dem Fest, der ab 1976 wieder aufgenommen wurde. Ein Ständchen, früher bei festlichen Gelegenheiten nie fehlende Einlage, wurde 1967 dem Goldhochzeitspaar Stieger dargeboten, von 1978 ab können sich auch die Silberhochzeiter daran erfreuen.
Von 1965 ab schieden unter anderen folgende passive Mitglieder aus dem Leben:

  • Oktober 1967: Heinrich Nelessen, Anfang der 50er Jahre Schriftführer
  • 5. 10. 1968: Matthias Hennen, Vorsitzender von 1942 bis 1948
  • 20. 5. 1970: Josef Zanders, stellvertretender Vorsitzender von 1942 bis 1948
  • 4. 3. 1973: Balbina Jansen, Sprecherin der Damen im Vorstand und Goldjubilarin
  • 4. 7. 1976: Willy Frohn, Dirigent und Chorleiter von 1920 bis 1955
  • 29. 7. 1978: Gertrud Lenßen, geb. Simonett, Vertreterin der Damen im Vorstand
  • Im Sommer 1976 wurde das aktive Mitglied Johannes von Hasenhorst und
  • im Mai 1980 Heinz Spütz heimgerufen.

Zu Beginn des Jahres 1981 gehörten zur Gemeinschaft der aktiven Sängerinnen und Sänger ingesamt 48 Mitglieder. Der Sopran bestand aus 15 Sängerinnen mit einem Durchschnittsalter von 31 Jahren. Die 15 Damen im Alt kamen auf ein Durchschnittsalter von 34 Jahren. Von den 30 Damen waren 16 verheiratet. Die mit 8 Stimmen am schwächsten vertretene Chorstimme war der Tenor, der mit seinem Durchschnitt 40 Jahre erreichte. Die 10 Mitglieder vom Baß kamen auf eine Durchschnittszahl von 45 Jahren. Insgesamt stellten die Männer nur noch ein Drittel der Stimmen des Gesamtchores. Während in den ersten Jahren nach dem Krieg viele Pfarrmitglieder in den Kirchenchor drängten, ist es in den letzten 20 Jahren immer schwerer geworden, Kirchensänger zu gewinnen. Dieses überörtliche Erscheinungsbild gilt in besonderer Weise für die Männer. Die tiefere Ursache hierfür dürfte in der Glaubenskrise der westeuropäischen Gesellschaft zu suchen sein.
Immerhin gibt es auch in diesen Tagen noch Männer und Frauen, die ihrem Dienst in Treue nachgehen, so konnten Alois Schlütter 1978 auf 60 Jahre und Heinz Jakobs 1980 auf 50jährige Mitgliedschaft zurückblicken.
Im Rahmen einer im ganzen rückläufigen Vereinstätigkeit im kirchlichen Raum bleibt der liturgische Dienst des Chores bemerkenswert. Dem Gotteslob, das etwa 35 mal pro Jahr für die Gemeinde in der feierlichen Liturgie gesungen wird, dienen annähernd 50 Probeabende.


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