Vor 150 Jahren Grundstein fürs Rathaus gelegt

Neue Heimstatt für das Gemeindebüro und das Friedensgericht am Marktplatz

Nettetaler Spätlese. Zeitung für ältere Menschen Nr. 57(2014)


Das Rathausgebäude auf dem Markt in Lobberich entstand in dieser Größe übereinen Zeitraum von 50 Jahren. Zum Kern (Mitte nach links) wurde vor 150 Jahren der Grundstein gelegt. Im rechten Teil unten war Jahrzehnte auch die Gemeindesparkasse untergebracht, die indenl 930er Jahren auch einmal die Burg Ingenhoven als Adresse angab.

Rathaus 1950er
Foto: Archiv Lobberland

In der Mitte des 19. Jahrhunderts wandelt sich die bisher von der Landwirtschaft bestimmte Gemeinde Lobberich allmählich zum Industriestädtchen. Denn vor allem de Ball und Niedieck bieten mit ihren Textilfirmen lukrativere Verdienstmöglichkeiten als die Bauern, die mit niedrig bezahlten Knechten und Mägden und Tagelöhnern über die Runden zu kommen versuchen. Die Einwohnerzahl wächst kontinuierlich auf 3.650, so dass der seit 1863 amtierende neue Bürgermeister Maximilian Winkelmann es für erforderlich hält, für die Verwaltung der Gemeinde eine ordentliche Heimstatt zu schaffen.

So wird am Marktplatz gleich neben der Kirche St. Sebastian (heute: Alte Kirche) am 19. August 1864 feierlich der Grundstein für ein neues Gebäude gelegt. Es soll neben dem Büro für die Verwaltung auch die „Friedensgerichts- und Gefängnislocalien so wie die Wohnung des Gefangen(en)wärters" enthalten, wie es in einer Anzeige im Kempener Kreisblatt vom 9. und 16. Juli 1864 heißt. Das Gebäude soll rund 4.165 Thaler kosten. Es wird 1866 fertig gestellt.

Als rund 135 Jahre später das Rathausgebäude nach dem Verkauf saniert wurde, hat man auch den Grundstein im November 2000 aus dem Mauerwerk entnommen und darin zwei Urkunden gefunden, deren Texte der Historiker Dr. Theo Optendrenk in einem Aufsatz im Heimatbuch des Kreises Viersen 2002 veröffentlichte und ihre Mitteilungen in die damalige Zeit einordnete. Als bemerkenswert findet Optendrenk, dass in der Urkunde auch die damaligen Steuerleistungen der Gemeinde angegeben sind; er vermutet, dass der Bürgermeister und die Gemeinderäte dies als „Zeugnis einer wachsenden Leistungsfähigkeit" angesehen haben, die den Neubau rechtfertige.

Überhaupt sei man damals sehr optimistisch gewesen, weil es in der Urkunde zum Schluss auch heißt: „...der ganze Ort sieht der frohen Hoffnung entgegen, dass er bald durch den gegenwärtig in Angriff genommenen Ausbau einer Eisenbahn von Venlo nach Viersen und von Venlo nach Kempen mit der übrigen Welt in eine leichte Verbindung tritt". Dreieinhalb Jahre später hielt der erste fahrplanmäßige Zug am 1. Januar 1868 am Bahnhof Lobberich (der streng genommen auf Hinsbecker Gemeindegebiet lag).

Die Urkunde mit vier anhängenden Siegeln war gezeichnet von Bürgermeister Winkelmann, Friedensrichter de Fries, Pfarrer Krins und Notar Döh-mer. Aif der Rückseite finden sich die Unterschriften der beiden Beigeordneten Schmitter und Dammer sowie der Gemeinderäte Conrad Thielen, Heinr. Jac. Michels, P.J. Müllers, Victor de Ball, W. Breidenbroich, Herrn. Schuren, I. Hormes, Wilh. Windbergs, J. H. Haanen, P. Joh. Doerkes, Joh. Wilh. Hoffmanns, Joh. Friedr. Gartz, Wm. Deutges, Joh. Arnold Kempkes und P. J. Küppers.

Der erste Rathausneubau — damals sprach man noch vom Bürgermeisteramt — war recht bescheiden und umfasste vom Eingang aus gesehen etwa drei Fenster nach links. Der erste Umbau folgte Anfang der 1890er Jahre, als Lobberichs Einwohnerzahl auf knapp 7.300 stieg und sich damit innerhalb von 25 Jahren verdoppelt hatte. Seine jetzige Größe erhielt der Bau zwischen 1911 und 1913, als er nach rechts hin um die Räume für die Gemeindekasse, die Sparkasse und den Sitzungssaal erweitert und links die Lücke zum Haus Kohmes/Rath durch eine Überbauung des Kirchzuganges geschlossen wurde.

Statt des Gefangenenwärters wohnte von 1910 bis Ende der 1920er Jahre Bürovorsteher Paul Brocher im zweiten Obergeschoss, nach dem Zweiten Weltkrieg hatte der Hausmeister Hermann Klemmt eine Wohnung unterm Dach. Im Keller lagerten nicht nur Akten, es gab dort auch Arrestzellen für vorübergehend

Festgenommene,denn auch die Polizei hatte ihre Räume im Rathaus. Durch Artilleriebeschuss erlitt der Bau an der Kirchenseite in der letzten Nacht vor dem Einmarsch der US-Streitkräfte am 2. März 1945 erhebliche Schäden, so dass die Verwaltung im Amtsgerichtsgebäude auf der Steegerstraße untergebracht werden musste.

Lobberichs Stadtverwaltung ist mit den Räumen bis zur Bildung der Stadt Nettetal gerade hingekommen (für Aktenlagerung wurde auch das Bongartzstift genutzt). Hier blieb zunächst der Sitz von Bürgermeister und Stadtdirektor, bis sie später ins Haus Erlenbruch umzogen.

Für die Verwaltung wurden auch Räume in den benachbarten Häusern 34 und 36 angemietet, bis das neue Rathaus auf dem Doerkesplatz im September 1999 bezogen werden konnte. Das Gebäude ging in den Besitz der Objektgesellschaft Frauenrath/Schumacher über, die die Räume nach einer gründlichen Renovierung vermietete.

Heute sind dort eine Zahnarztpraxis, eine Versicherungsagentur und ein Cafe mit Geschenke-Boutique untergebracht. Der alte Grundstein ist nun hinter der zweiten Türe rechts in die Wand eingemauert worden - über dem Hinweis der Renovierung im Jahre 2000/2001.

„Da hub man an zu Lobberichs Zier"

Auf einem Blatt, das neben der Urkunde im Grundstein gefunden wurde, fand sich folgendes Gedicht:

Und so geschah mit Gottes Gnad,
Als man das Jahr gezählet hat
Tausend achthundert sechzig vier,
Da hub man an zu Lobberichs Zier,
Zu seiner Bürger Ehr und Nutz,
Zu jedermannes Rechte Schutz
Ein neu Gemeinde- und Gerichtshaus zu gründen.

Bitte:

Und neben des Bauherrn Kunst
Verhelf vor allem Gottes Gunst,
der seinen Segen uns verleihe,
auf daß der Bau gar wohl gedeihe
Vom ersten Stein im Fundament
Zum letzten Stein im Giebelend.

Zitiert nach dem Optendrenk-Aufsatz im Heimatbuch 2002

Manfred Meis


mehr aus der Spätlese

mehr zum Rathaus

mehr zum Heimatverein Stammtischrunde 1953 Lobberich